„Rachetanz“
Kriminalroman
Ich ging spät ins Bett. Mittags stand ich auf, saß beim ersten Kaffee
in der Küche, da klingelte es zweimal. Der Briefträger. Ich öffnete
und ging die Treppe hinunter ihm entgegen. Aber da war der Mann
schon oben, drängte mich in die Wohnung zurück und schloss ab.
Nach einer Schrecksekunde ging ich gleich auf ihn los. Mit manchen
Leuten kann man nicht diskutieren. Eine Schlägerei mit einem solchen
Typen kann ich nicht gewinnen, aber ich kann, wie ich schon erwähnte,
ganz gut Karate. Er war überrascht, wich einen Moment zurück. Das
hatte er wohl nicht erwartet: eine Frau, die zuschlägt. Aber er hatte
einfach zu viel Kraft. Es dauerte nicht lange, da stand ich im Korridor
an der Wand, er dicht vor mir. Er hielt mir mit seiner riesigen Hand den
Mund zu und zählte auf, was alles passieren würde, falls ich schreien,
mich wehren, ihn treten, auf ihn losprügeln oder sonst irgendwas
Feindseliges tun würde.
Ich hörte auf, mich zu sperren, und schaltete den Verstand ein.
Noch hatte ich keine Ahnung, wer der Angreifer war. Als er merkte,
dass mein Körper sich entspannte, grinste er, sagte, »na, geht doch.
Schon besser. Setz dich hin«, und wies in Richtung Küche. Der Kerl
duzte mich! Ich setzte mich. Auf dem Tisch stand immer noch meine
Kaffeetasse. Ich nahm einen Schluck und starrte ihn an. Das war
natürlich Bluff. Ich hatte Angst. Punkt. Ich halte mich nicht für einen
Feigling, ich bin kein Angsthase, ich verliere nicht so schnell den Kopf,
aber mir war in diesem Moment ganz außerordentlich scheußlich
zumute. Ich hatte kein Ahnung, was der Typ vorhatte. Bestimmt nichts
Gutes für mich. Ich saß mit dem Rücken zum Fenster, aber ich wohne
im dritten Stock, rausspringen war keine Option. Um Hilfe schreien?
Bis Hilfe käme, wäre ich längst tot und er weg.
Er legte eine Pistole vor sich auf den Küchentisch und starrte zurück.
Eine Waffe habe ich nicht. Aber Verstand, und davon vermutlich
mehr als er.
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