"Selbsanft"

Ein Glarner Krimi

1 unter null

Ein Toter lag am Fuße des Selbsanft.

Das Tierfehd, die abgelegene, schattige

Gegend unterhalb des Bergs, war, trotz

des schmucken alten Hotelkastens, ein

unwirtlicher Ort. So wenig einladend,

wie Großbaustellen eben sind.

Das jahrzehntealte Wasserkraftwerk

LinthLimmern wurde durch ein neues

Pumpspeicherwerk ersetzt. Das Hotel

diente den Bauarbeitern als Unterkunft,

das Restaurant war im November an

den Wochenenden geschlossen, die

Baustelle verlassen.

Die Bergtourensaison war vorbei.

Verfärbte Blätter lagen auf dem Weg,

nicht mehr rot und gelb, sondern feucht

und bräunlich geworden. In den letzten

Tagen hatte sich die Sonne kaum gezeigt.

Der Herbst kippte allmählich in den

Winter, der Himmel war grau, die

Temperaturen sanken nachts unter den

Gefrierpunkt.

Da lag nun an einem kalten Sonntag-

morgen dieser Tote. Neben der Terrasse

des Restaurants Tödi standen ein paar

Holztische mit Bänken unter Bäumen,

im Sommer ein Angebot für Wanderer,

die ihr Picknick selbst mitbrachten. Er

lag zwischen zwei Tischen, der Kopf

halb unter einer Bank. Ein Mann um

die fünfzig, dicklich, bärtig, blass, mit

schütterem Haar, hellen Strähnen, die

die kahlen Stellen kaschieren sollten,

jetzt aber wirr vom Kopf abstanden.

Seine Augen waren halb geschlossen.

Ein hässlicher Toter an einem traurigen

Ort. Er lag auf dem Rücken, den einen

Arm hatte er ausgestreckt, den anderen

angewinkelt über dem Oberkörper, die

Hand ins Hemd verkrampft. Er trug

Wanderkleidung und hatte einen kleinen

Rucksack neben sich. Die rote Windjacke

lag auf dem Boden, zwei Meter neben

ihm, auch den Pullover hatte er aus-

gezogen und das Hemd aufgerissen;

zwei Knöpfe waren ab. War ihm heiß

gewesen? In einer Novembernacht?

Was war bloß in den gefahren?

 

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