Ein perfekter

Mord

Kurzkrimi

von Isabel Morf

Meinen Namen kennen Sie aus den

Medien. Cassandra Buchstab. Ist

natürlich ein Pseudonym – aber gut,

nicht wahr, für eine Autorin? Dass ich

Kriminalromane schreibe, wissen Sie

ebenfalls. Sie interessieren sich für meine

Geschichte, sagen Sie. Aber die ist doch

längst bekannt – stand in allen Zeitungen.

Gut, Sie haben Recht, alles ist natürlich

nicht herausgekommen. Vor einigen

Jahren fragte mich an einer Lesung eine

Frau aus dem Publikum, ob ich nach all

meinen Erfahrungen, mir Verbrechen

auszudenken, imstande wäre, den per-

fekten Mord zu begehen. Ich verneinte

bescheiden.

Es ist ja auch nicht der Ehrgeiz eines

Krimiautors, Morde zu entwerfen, die

nicht aufgeklärt werden können. Im

Gegenteil, ich will meine Bösewichte

vom Detektiv überführen und sie der

Justiz aushändigen lassen. Ich könnte

also eher mit Ja antworten, wenn man

mich fragen würde, ob ich in der Lage

wäre, ein stümperhaftes Verbrechen zu

begehen. Technisch sicher, aber natürlich

würde mir das Gewissen dazwischen-

funken, wie wohl bei den meisten

Menschen.

Glücklicherweise – andernfalls gäbe es keine Kriminalromane.

An sich friedliche Menschen, zu denen

ich mich zähle, können am ehesten in

zwei Situationen gewalttätig werden und

jemanden umbringen: entweder im

Affekt, wenn sie dermassen von Gefühlen

wie Wut oder Demütigung überwältigt

werden, dass ihnen alle Sicherungen

durchbrennen; oder dann in einer Not-

situation, wenn ihre Gegenwehr zu heftig

ausfällt und zu einem sogenannten

Notwehrexzess wird. Dieser Notwehr-

exzess kann indessen je nach der Notlage

der Person auch entschuldbar sein.

– Aber genug der Theorie. Sie dient ja

nur dazu, mich meiner Story zu nähern.

Mir, Cassandra Buchstab, ist der perfekte

Mord geglückt – oder soll ich sagen:

passiert? Ich sehe, Sie runzeln die Stirn.

Schliesslich besuchen Sie mich ja im

Gefängnis. So perfekt ist es offensichtlich

nicht gelaufen, denken Sie.

Warten Sie’s ab.

Wie es dazu kam? Tja, ich war seit gut

fünf Jahren im Krimibusiness, hatte drei

Detektivromane und eine Reihe von

Short Stories verfasst. Ich hatte eine solide

Fangemeinde um mich geschart, ein paar

Tausend Menschen, die meine Bücher

kauften, mir freundliche Mails schrieben.

Immer fanden sich auch zuverlässig um

die fünfzig Leute an meinen Lesungen

ein. Jährlich kauften etwa viertausend

Menschen eines meiner Bücher.

Viertausend Menschen – das ist eine

hübsche Menge, wenn man sie sich auf

einem Platz vorstellt. Und doch, es waren

einfach zu wenige, um mich zu ernähren.

Das Geld, das auf mein Konto tröpfelte,

reichte hinten und vorne nicht. Keine

Ahnung, warum ich nicht so bekannt

war wie Stieg Larsson und die ganze

nordeuropäische Truppe – aber es war

eben so. Ich brauchte einen zusätzlichen

Brotjob. Am besten einen, den ich in

Randstunden ausüben konnte, damit ich

tagsüber Zeit zum Schreiben hatte. Auch

wollte ich möglichst wenig denken

müssen, damit mein Kopf frisch blieb

fürs Erfinden, Skizzieren und Schreiben.

Ich fand eine passende Arbeit: Ich wurde

Putzfrau, schöner gesagt, Reinigungs-

kraft bei einem Reinigungsinstitut, also

einer Putzfirma. Meine Aufgabe war es,

frühmorgens und nach Feierabend Büros

zu putzen. Der Lohn war akzeptabel,

verglichen mit meinen Einkünften als

Autorin. Ich machte die Arbeit nicht

ungern, und doch – vielleicht bin ich ein

wenig snobistisch – hielt ich meinen

Zweitberuf vor meinen Bekannten und

Fans streng geheim.

Alles ging gut – bis ich eines Abends wie

jeden Montag und Donnerstag das Büro

eines Sachbearbeiters einer Firma putzte.

Ich hatte soeben den Papierkorb geleert

und fuhr mit einem feuchten Lappen

über den Besprechungstisch, auf dem ein

Rosenquarzstein lag, den ich ein wenig

polierte. Da kam ein junger Mann

hereingestürzt.

„Guten Abend, ich habe bloss was

vergessen“, rief er und eilte zum Pult.

Aber dann blieb er abrupt stehen.

„Hey, Sie kenne ich doch, Sie sind, ja, Sie

sind Cassandra Buchstab. Ihr letztes

Buch hat mir ausgezeichnet gefallen!“

Ich murmelte irgendwas, und mir war

höchst unbehaglich zumute. Ein Fan, du

meine Güte, und traf mich beim Putzen

an. In einer türkisfarbenen Schürze.

Er merkte nichts: „Ich wette, Sie sind hier

am Recherchieren für ihren nächsten

Krimi“, sagte er fröhlich, „wird die

Putzfrau das Opfer oder die Mörderin?

Warten Sie“, er zückte sein Smartphone,

„ich muss unbedingt ein Selfie von uns

beiden schiessen. Das geht dann auto-

matisch auf Instagram.“ Flugs stand das

Jüngelchen neben mir, legte mir den

einen Arm um die Schulter und streckte

den anderen aus, das verdammte

Gerätchen in der Hand.

Instagram, dröhnte es in meinem Kopf.

Katastrophe. Sichtbar für die ganze

Welt: Cassandra Buchstab bei ihrem

Putzjob. Ich wäre erledigt. Für immer.

Out. Im Off. Das musste ich verhindern.

Um jeden Preis.

Ich handelte automatisch. Griff mir den

grapefruitgrossen, frisch abgestaubten

Rosenquarzstein vom Sitzungstisch und

haute ihn dem Mann auf den Kopf. Seine

letzte Bewegung in diesem Leben war

ein leichter Druck seines Daumens auf

das Display. Damit machte er ein Foto,

das – so sah ich es später – den rosa

glänzenden Stein in meiner herab-

sausenden Hand zwei Millimeter über

seinem Schädel zeigte, eine Zehntel-

sekunde vor seinem Tod.

Tja, bei einer solchen Beweislage macht

Abstreiten keinen Sinn. Ich gab alles zu.

Erläuterte zwei ernsten Polizisten

eindringlich meine Notsituation, meinen

Gefühlsaufruhr, meine Existenzangst,

meine Absicht, einzig das Foto zu

verhindern, sonst gar nichts. Später

erklärte ich das Gleiche unter Tränen

nochmals einer freundlich-distanzierten

Rechtsanwältin und wiederholte es

schliesslich mit hängendem Kopf vor

einem Gremium von drei Richtern, die

mir schweigend zuhörten und mich die

ganze Zeit skeptisch musterten.

Aber es wirkte. Schliesslich habe ich eine

gewisse Begabung, Geschichten zu

erzählen.

Ich wurde zu sechs Jahren verurteilt.

Zwei habe ich schon abgesessen, ein

Drittel wird mir wegen guter Führung

geschenkt werden.

So weit so gut, höre ich Sie denken, aber:

Wann kommt jetzt endlich das mit dem

perfekten Mord? Hat die Frau noch

einen weiteren armen Kerl um die Ecke

gebracht? Einen, der kein Smartphone

zur Hand hatte, um sein Ermordet-

werden zu dokumentieren?

Na, so begreifen Sie doch: Jener für

meinen jungen Fan leider tödliche

Zwischenfall war das Beste, was mir

passieren konnte. Eine mordende Krimi-

autorin ist ein gefundenes Fressen für

die Medien. Alle berichteten über mich,

das haben Sie ja mitbekommen:

Die Lokalpresse schrieb ausführlich und

in Fortsetzungen über den Fall, eine

lokale TV-Station interviewte mich, eine

Frauenzeitschrift brachte ein einfühl-

sames Porträt, die Gerichtsberichterstatter

rapportierten über den Prozess. Alle

kennen mich nun –  Sie ja auch –, und die

Verkaufszahlen meiner Bücher sind

förmlich explodiert!

Am besten läuft derzeit das neuste Buch

„Rätselmord im Frauenknast“, das ich

letztes Jahr verfasste. So vermeide ich es,

mich im Gefängnis in der Wäscherei

abplagen zu müssen. Das Geld strömt

nur so auf mein Konto. Vor Kurzem hat

ein norwegischer Verlag um die Über-

setzungsrechte angefragt. Ich bin durch

den Mord eine bekannte Krimiautorin

geworden, dazu vermögend – und in

zwei Jahren wieder frei:

Ist das etwa nicht perfekt?

 

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